Mit Legasthenie bezeichnet man eine Lese- Rechtschreibstörung. Von Legasthenie betroffene Kinder sind genauso intelligent wie ihre Altersgenossen. Trotzdem werden sie gehänselt und landen im Extremfall auf einer Förderschule. Selbst Lehrer und Ärzte sind oftmals falsch informiert.
Betroffene Familien sollten sich nicht allein auf die Schule verlassen
Gerade in der Grundschule werden Legastheniker häufig als faul oder lernbehindert abgestempelt und erleiden dadurch zusätzliche soziale und/oder psychische Folgeschäden.
Bis heute sind sich die Experten nicht darüber einig, ob Legasthenie vollständig heilbar ist. Sicher ist jedoch, dass sich die Symptome nach einer detaillierten Diagnose mit gezielten Fördermaßnahmen bedeutend mindern lassen und große Lernfortschritte möglich sind.
Legasthenie – Was ist das?
Der Begriff Legasthenie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem österreichisch-ungarischen Neurologen Ranschburg geprägt. Etwa zur gleichen Zeit setzte sich international der Begriff Dyslexie zur Benennung von besonderen Schwierigkeiten beim Lesen- und Schreibenlernen durch.
Daneben etablierte sich im deutschsprachigen Raum das Wort Lese-Rechtschreibschwäche, kurz LRS. Obwohl seitens der Wissenschaft feine Unterschiede bestehen, verwenden Ärzte, Therapeuten und Lehrer diese Bezeichnungen zur Kennzeichnung von Problemen beim Lesen und Schreiben meist gleichberechtigt.
Experten sprechen von Legasthenie oder LRS, wenn ein Kind das Lesen und/oder Schreiben in der dafür vorgesehenen Zeit nur sehr unzureichend oder gar nicht gelernt hat.
Ursachen von Legasthenie
Verschiedene Faktoren spielen bei der Entstehung einer Legasthenie eine Rolle. So kann diese Störung unter anderem sowohl genetische als auch neurobiologische /neurophysiologische (gestörte/verzögerte visuelle und/oder auditive Wahrnehmung) Gründe haben.
Sowohl motorische Störungen, psychische/neurologische Erkrankungen sowie Aufmerksamkeitsstörungen und eingeschränktes Seh- bzw. Hörvermögen können Schwierigkeiten mit dem Schriftspracherwerb hervorrufen. Dies wird dann aber eher als vorübergehende Lese-Rechtschreibschwäche bezeichnet und seltener als Lese-Rechtschreibstörung.
Symptome der Legasthenie
Anhand der nachfolgenden Liste können Eltern vorab selbst prüfen, ob bei ihrem Kind eventuell eine Legasthenie vorliegt.
Schreiben
- Schreibhemmung
- zahlreiche Fehler beim Abschreiben
- überdurchschnittlich viele Fehler in Aufsätzen und Diktaten
- Verwechslung von ähnlich erscheinenden Buchstaben (z. B.: „geld“ statt „gelb“)
- Verwechslung von Silben oder Buchstaben, die ähnlich klingen (z. B.: „Hont“ statt „Hund“)
- Auslassen von Buchstaben (z. B.: „Montg“ statt „Montag“)
- Weglassen ganzer Silben (z. B.: „Mittages“ statt „Mittagessen“)
- Nichtbeachtung von Rechtschreibregeln (z. B.: „Halo“ statt „Hallo“)
Lesen
- langsames, mühevolles Lesen
- viele Fehler beim Vorlesen
- viele Selbstkorrekturen
- Wörter werden silbenweise vorgelesen
- wortweises Vorlesen von Sätzen und Texten ohne Sinnerfassung
- Probleme bei der Kombination von Einzellauten zu Lautfolgen
Merkfähigkeit
- große Schwierigkeiten beim Erlernen neuer Buchstaben, Silben oder Vokabeln
Motorik
- verkrampfte Schreibhaltung
- langsames Schreiben
- undeutliches Schriftbild
Wenn eine Legasthenie nicht frühzeitig diagnostiziert wird, kann dies zu sekundären Problemen führen. Den Kindern vergeht oft der Spaß am Lernen. Sie fühlen sich unter Druck gesetzt oder unverstanden und ihr Selbstwertgefühl leidet, was unter anderem erhöhten Stress, Unlust, Schulangst oder aggressives Verhalten hervorrufen kann.
Leider wirkt sich die Legasthenie auch auf andere Schulfächer negativ aus. So haben Kinder mit Legasthenie oft Schwierigkeiten mit Fremdsprachen und mathematischen Konzepten.
Achtung! In manchen Fällen liegt den genannten Auffälligkeiten auch eine organische Störung, beispielsweise des Hörzentrums, der Augen oder des Nervenzentrums zugrunde.
Falls Eltern diesbezüglich unsicher sind, sollten sie ihr Kind, bevor sie weitere Schritte unternehmen, vorsichtshalber dem Kinderarzt, einem Facharzt für Augen- und Ohrenheilkunde oder Logopäden vorstellen.
Wer kann eine qualifizierte Legasthenie-Diagnostik durchführen?
Grundsätzlich sollten alle Grundschullehrerinnen und -lehrer über das notwendige Rüstzeug, Legasthenie bei Kindern zu erkennen, verfügen.
Darüber hinaus liegt es in der Verantwortung der Eltern, bei auftretenden Problemen einen Termin bei einem Experten (Kinderpsychologe/ -psychotherapeut) zur genaueren Diagnostik zu machen. Die nachfolgend genannten Stellen können mit Information oder einem Termin zur Diagnose weiterhelfen:
- Beratungsstelle für Legasthenie
- schulpsychologischer Dienst
- lerntherapeutische Praxis
- Praxis für Logopädie
- Erziehungsberatungsstelle
Was passiert bei der Legasthenie-Diagnose?
Zur Feststellung einer Lese-Rechtschreib-Störung müssen viele Faktoren berücksichtigt werden. So findet zuerst einmal ein ausführliches Erstgespräch (Anamnese) statt, bei dem die Eltern genauestens über die Entwicklung ihres Kindes befragt werden.
Darauf folgend wird mit dem Kind ein Lese- und Rechtschreibtest und oftmals auch ein Test der allgemeinen kognitiven Funktionen (Intelligenztest) durchgeführt. Je nach Ausmaß und Art der Probleme folgen manchmal weitere Tests, wie beispielsweise ein Konzentrationstests, ein spezieller Sprechtest im Beisein einer Logopädin oder ein fachärztlicher Test der Seh- und Hörfunktion.
Liegt nach Auswertung aller diagnostischen Mittel eine Legasthenie vor, die förderungsbedürftig ist, können Eltern davon ausgehen, dass der Leistungsrückstand ihres Kindes bezüglich Lesen und Schreiben bereits schon so groß ist, dass es ihn aus eigener Kraft nicht mehr aufholen kann.
Welche Hilfen gibt es für Kinder mit Legasthenie?
Laut Grundsätzen der Kultusministerkonferenz ist es in erster Linie die Aufgabe der Schule, Schülerinnen und Schülern, die von Legasthenie betroffen sind, zu helfen. Oftmals haben jedoch viele Lehrer unzureichende Erfahrung darin, zu erkennen, wie sich eine Lese-Rechtschreib-Schwäche im Verlauf des Lesen- und Schreibenlernens genau äußert.
Das liegt schlicht daran, dass die meisten Lehreranwärter während ihres Hochschulstudiums dazu keine Ausbildung erhalten. Zudem machen es oft große Schülerzahlen in den Grundschulklassen den Lehrern schwer, auf jedes einzelne Kind individuell eingehen zu können.
Betroffene Familien sollten sich deshalb am besten an den Bundesverband Legasthenie e.V. wenden. [https://bvl-legasthenie.de/]. Dort finden sich geschulte Fachkräfte, die bei der Suche nach einer geeigneten Fördereinrichtung in Wohnortnähe gerne behilflich sind.
Vorsicht ist dagegen bei einigen „freien“ Anbietern geboten. Vollmundige Versprechen und fragwürdige Methoden dienen hier oftmals nicht in erster Linie dem Wohl des Kindes, sondern eher der Gewinnmaximierung des jeweiligen Unternehmens.
Was können die Eltern für ihr Kind tun?
Neben schulischer und außerschulischer Förderung können die Eltern viel dafür tun, dass ihr Kind, trotz seiner schwächeren Leistungen in den Fächern Lesen und Schreiben, nicht ins Abseits gerät. Hier einige Ratschläge:
- Erklären Sie Ihrem Kind, was eine Legasthenie ist und dass diese nichts mit der Intelligenz oder allgemeinen Lernfähigkeit zu tun hat. Es kann auch hilfreich sein zu erklären, dass jedes Kind und jeder Erwachsene unterschiedliche Stärken aber auch Schwächen haben und dass es darum geht, sein jeweils Bestes zu versuchen und nicht sofort aufzugeben.
- Die Schule sollte nicht wichtiger genommen werden, als sie ist. Der spätere Lebenserfolg eines Menschen entscheidet sich schließlich nicht bereits in der Grundschule. Es gibt genügend Beispiele berühmter Persönlichkeiten, die in der Schule nicht besonders gut waren.
- Wichtiger als permanenter Leistungsdruck ist eine unbeschwerte Kindheit.
- Versuchen Sie Ihrem Kind die Freude am Lernen zu erhalten, indem sie es spielerisch und ohne Druck fördern.
- Geben Sie Ihrem Kind viel Anerkennung, wenn Sie merken, dass es sich bemüht und legen Sie weniger Wert auf das ‚Endprodukt‘.
- Lesen Sie viel mit Ihrem Kind. Dabei können Sie vorlesen oder Ihr Kind (soweit es kann) vorlesen lassen. Stellen Sie hinterher einfache Fragen zum Inhalt und wechseln Sie öfter die Bücher/Texte, da Kinder solche schnell auswendig lernen.
- Besprechen Sie die Lernziele für Ihr Kind mit seinem Lehrer/Therapeuten, um sicher zu gehen, dass Sie auf dem richtigen Weg sind und im richtigen Tempo vorgehen mit Ihrer Förderung.
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Fazit
- Legasthenie ist keine Krankheit, sondern lediglich eine Schwäche der Verarbeitungsfähigkeit im Bereich der Sprache.
- Die Probleme entstehen zumeist erst dadurch, dass in der Schule und im gesellschaftlichen Leben dem Lesen und der Rechtschreibung ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt wird.
- Die Förderung der Stärken von Legasthenikern ist genau so wichtig, wie das Verständnis für ihre leider oft vergeblichen Bemühungen.
Dieser Artikel wurde von unserem Expertenteam geprüft.